Erschienen in „Tibet und Buddhismus“ (Heft 131) –
In unserer heutigen, von Konsum geprägten Welt, ist das Streben nach Freude oft eng mit dem Erwerb materieller Güter und Dienstleistungen verknüpft. Wir alle kennen das Gefühl: Ein neues Smartphone, schicke Sneaker oder das neueste Küchengerät und schon hoffen wir, dass uns dieses Objekt endlich das lang ersehnte Glück bringt.
Doch wie lange hält dieses Hochgefühl wirklich an? Oft nur bis zum nächsten verführerischen Angebot, bis zum nächsten Dopamin-Kick beim Online-Shopping.

Wir hetzen von einem Kauf zum nächsten, getrieben von der Illusion, dass das nächste „Haben-wollen-Ding“ uns endlich die ersehnte Erfüllung bringt. Dabei vergessen wir oft, dass alles vergänglich ist und sich ständig verändert. Das neue Smartphone ist bald alt, die Sneaker aus der Mode und das Küchengerät ersetzt durch ein noch besseres Modell.
Das Glück, das wir durch Konsum erfahren, ist flüchtig und hinterlässt uns oft mit einem Gefühl der Leere und Unzufriedenheit. Die Schnelllebigkeit unserer Konsumgesellschaft, in der Produkte immer schneller veralten und neue Trends uns ständig dazu verleiten, mehr zu kaufen, verstärkt dieses Gefühl der Unbeständigkeit und des nie endenden Strebens nach Befriedigung.
Die digitale Revolution und der Aufstieg des Onlinehandels haben diese Schnelllebigkeit noch weiter beschleunigt. Wir können jetzt mit nur wenigen Klicks nahezu jedes Produkt bestellen und erwarten, dass es innerhalb kürzester Zeit geliefert wird. Diese unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, die uns die moderne Technologie bietet, kann süchtig machen und uns in einem Kreislauf des ununterbrochenen Konsums gefangen halten. Die ständige Verfügbarkeit von Produkten und Dienstleistungen nährt die Illusion, dass wir unsere Bedürfnisse sofort befriedigen müssen und vor allen Dingen können. Doch diese Jagd nach dem schnellen Glück führt oft zu einer noch größeren Unzufriedenheit, da sie uns daran hindert, innezuhalten und uns auf das Wesentliche (was immer das sein könnte), ja überhaupt zu konzentrieren.
Nagarjuna würde uns nun daran erinnern, dass alles Leerheit ist, wäre also wenig überrascht. Er meinte damit wie wir wissen nicht, dass alles sinnlos ist, sondern dass wir uns nicht an Dinge klammern sollten, weil sie vergänglich sind und uns letztlich keine dauerhafte Erfüllung bringen.
Aber die Marketing-Gurus sind nun mal wahre Meister der Verführung. Sie kennen unsere tiefsten Sehnsüchte und Wünsche und nutzen dieses Wissen geschickt, um uns zum Kauf zu verführen. Sie flüstern uns zu, dass wir dieses eine Produkt brauchen, um endlich dazuzugehören, geliebt zu werden oder erfolgreich zu sein. Und wir fallen darauf rein, immer wieder. Wir klicken auf „Jetzt kaufen“ und hoffen, dass es dieses Mal, ja, dieses Mal anders sein wird. Die Geschwindigkeit, mit der wir unsere Wünsche online erfüllen können, verstärkt diese Verführung noch. Mit wenigen Klicks können wir das begehrte Objekt bestellen und oft schon am nächsten Tag in den Händen halten. Diese unmittelbare Bedürfnisbefriedigung gaukelt uns eine schnelle Lösung für unsere Sehnsüchte vor, doch eine wahre Erfüllung bleibt aus.
Der Philosoph Jacques Derrida würde vielleicht sagen, dass das alles ein Spiel mit der Sprache ist. Bedeutungen sind nicht fest, sondern können verschoben und manipuliert werden. Ein Luxusauto wird nicht einfach als Fortbewegungsmittel verkauft, sondern als Symbol für Erfolg und Status. Und schon fühlen wir uns unzulänglich, wenn wir „nur“ einen Kleinwagen fahren. Und morgen ist es vielleicht wieder anders, dann brauchen wir ein Elektroauto, um auf der richtigen Seite zu stehen.
Die Werbung gaukelt uns eine Welt vor, in der alles perfekt ist, wenn wir nur die richtigen Produkte besitzen. Aber diese Welt ist eine Illusion, eine Fata Morgana, die in der Wüste des Konsums verschwindet, sobald wir den nächsten Sandsturm der Unzufriedenheit erleben – hier erfahren wir, was Leere sein kann, wie sehr da nichts ist, an dem man sich festhalten kann.
Man kann nur hoffen, dass diese Erkenntnis Menschen nicht nur frustriert, sondern auch zum Nachdenken anregt und vielleicht zum Beispiel die Wahrheit vom Leid erkennen läßt.
Geschwindigkeit als treibende Kraft
Die Geschwindigkeit, mit der neue Produkte und Trends auf den Markt kommen, verstärkt die genannte Illusion und hält uns in einem ständigen Zustand des Haben-Wollens.
Und dieser Zustand des Haben-Wollens ist das, was das System am Laufen hält. Die Schnelllebigkeit des Konsums ist nicht nur ein Nebeneffekt, sondern eine Notwendigkeit, damit die enormen Kosten für Marketing und Werbung sich überhaupt lohnen. Wir werden ständig mit neuen Produkten und Trends bombardiert, damit wir immer das Gefühl haben, etwas zu verpassen und kaufen müssen, um „up-to-date“ zu bleiben. Es ist ein Teufelskreis, der uns gefangen hält und uns daran hindert, wahre Freude und Zufriedenheit zu finden. Und es ist eine massive Verschwendung von Ressourcen, die für so viel wichtigere Dinge eingesetzt werden könnten.
Der französische Philosoph Paul Virilio hat sich intensiv mit den Auswirkungen der Geschwindigkeit auf unsere Gesellschaft auseinandergesetzt. Er prägte den Begriff der „Dromologie“ (von altgriechisch dromos = Rennbahn), um die Lehre von der Geschwindigkeit zu beschreiben. Virilio argumentierte, dass die Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegen, kommunizieren und Informationen verarbeiten, unsere Wahrnehmung der Welt und unser Verhalten grundlegend verändert.
Im Kontext des Konsums bedeutet dies, dass die Geschwindigkeit der Bedürfnisbefriedigung zu einem zentralen Faktor wird. Wir sind daran gewöhnt, unsere Wünsche sofort zu erfüllen, und jede Verzögerung wird als unangenehm empfunden. Und wie schon gesagt, der Onlinehandel mit seinen schnellen Lieferzeiten und dem ständigen Zugang zu Informationen und Unterhaltung haben diese Erwartung der sofortigen Befriedigung noch verstärkt. Paul Virilio zeigt uns, dass die Geschwindigkeit nicht nur ein Mittel zur Bedürfnisbefriedigung ist, sondern selbst zu einem Bedürfnis geworden ist. Wir wollen alles sofort, ohne Wartezeit, ohne Verzögerung – wir wollen es eventuell mehr, als das einzelne Produkt, das wir bestellen.
Virilio warnte wenig überraschend selbst schon davor, dass diese Beschleunigung auch negative Auswirkungen haben kann. Sie kann zu einer Entfremdung von uns selbst und unserer Umwelt führen, da wir keine Zeit mehr haben, innezuhalten und zu reflektieren.
„Die Geschwindigkeit ruft die Leere hervor, die Leere treibt zur Eile“, schrieb Paul Virilio einmal.
Im Konsum führt dies zu einer ständigen Jagd nach dem nächsten Kick, nach der nächsten schnellen Befriedigung, die jedoch nie von Dauer ist – und eben nicht nur nebenbei bemerk, zu teilweise unmenschlichen Arbeitsbedungungen, die dieses absurde Tempo erst möglich machen.
Wahre Freude: Innehalten in einer beschleunigten Welt
Aber was ist denn nun wahre Freude, wenn sie nicht im Konsum oder in der Geschwindigkeit der Bedürfnisbefriedigung zu finden ist?
Der Buddhismus sagt, dass sie in uns selbst liegt, in der Kultivierung von Mitgefühl, Weisheit und Gelassenheit. Es geht darum, innezuhalten, durchzuatmen und zu erkennen, dass wir bereits alles haben, was wir zum Glücklichsein brauchen. Indem wir uns von der Hektik des Alltags lösen und uns auf unser Inneres besinnen, können wir eine tiefe und dauerhafte Freude finden, die nicht von äußeren Umständen abhängig ist.
Wir sind eben Teil eines großen Ganzen, nichts existiert unabhängig für sich. Das gilt auch für unsere Bedürfnisse und Wünsche. Sie sind geprägt von der Gesellschaft, der Kultur und natürlich auch von der Werbung, die uns ständig umgibt. Wir sind wie Marionetten in einem großen samsarischen Theaterstück, in dem die Fäden von Marketingstrategen und gesellschaftlichen Erwartungen gezogen werden.
Die Geschwindigkeit, mit der sich Trends und Moden ändern, verstärkt dieses Gefühl der Abhängigkeit von äußeren Einflüssen und erschwert es uns, unsere wahren Bedürfnisse und Werte zu erkennen.
Was können wir also tun, um uns von der Konsumspirale zu befreien und wahre Freude zu finden? Hier mal als Vorschlag eine leicht buddhistisch inspirierte Checkliste:
· Achtsamkeit: Bevor man auf „Jetzt kaufen“ klickst, einfach mal kurz innehalten und sich fragen: Brauche ich das wirklich? Oder will ich nur dem neuesten Trend hinterherlaufen, um mich kurzzeitig besser zu fühlen? Indem wir achtsam sind, können wir erkennen, wann wir von äußeren Einflüssen getrieben werden und lernen, bewusstere Entscheidungen zu treffen.
· Bedürfnis-Check: Sind es wirklich die eigenen Bedürfnisse, die wir befriedigen wollen, oder sind sie dir von der Werbung eingeredet worden? Vielleicht brauchst du gar kein neues Smartphone, sondern einfach nur ein gutes Gespräch mit einem Freund. Indem wir unsere wahren Bedürfnisse erkennen, können wir uns von künstlich erzeugten Wünschen lösen und uns auf das konzentrieren, was uns wirklich wichtig ist.
· Genügsamkeit: Kannst du auch mal mit weniger zufrieden sein? Vielleicht macht es dich sogar glücklicher, wenn du nicht ständig neue Sachen kaufst. Weniger ist manchmal mehr, und ein aufgeräumter Kleiderschrank kann Wunder für die innere Ruhe bewirken. Indem wir Genügsamkeit praktizieren, können wir uns von der Schnelllebigkeit des Konsums lösen und lernen, die einfachen Dinge des Lebens zu schätzen.
· Nachhaltigkeit: Denk an die Umwelt und kaufe bewusst ein. Vielleicht findest du ja sogar Freude daran, Dinge zu reparieren oder Second-Hand zu kaufen. Indem wir nachhaltig konsumieren, können wir dazu beitragen, die negativen Auswirkungen des Konsums auf unseren Planeten zu reduzieren und eine lebenswerte Zukunft für alle zu sichern.
· Erfahrungen statt Dinge: Gemeinsame Erlebnisse mit Freunden und Familie schaffen oft mehr bleibende Erinnerungen als materielle Güter. Ein Konzertbesuch, ein gemeinsames Abendessen oder ein Ausflug in die Natur können uns viel mehr erfüllen als das neueste Gadget. Indem wir uns auf Erfahrungen konzentrieren, können wir unser Leben bereichern und uns selbst besser kennenlernen, anstatt uns in der Anhäufung von Besitztümern zu verlieren.
· Großzügigkeit: Teilen macht glücklich, indem wir großzügig sind, können wir dazu beitragen, das Leiden anderer zu lindern und eine gerechtere und mitfühlendere Gesellschaft zu schaffen.
· Innere Erfüllung: Meditation, Yoga, ein gutes Buch – es gibt viele Wege, um innere Ruhe und Zufriedenheit zu finden. Indem wir uns auf unsere innere Entwicklung konzentrieren, können wir ein stabiles Fundament für Glück und Zufriedenheit schaffen, das uns durch die Höhen und Tiefen des Lebens trägt.
Die buddhistische Philosophie, insbesondere die Lehren Nagarjunas, bietet eine wertvolle Perspektive auf Bedürfnisbefriedigung und Konsum in der heutigen Gesellschaft. Indem wir uns von der Anhaftung an materielle Güter lösen, einen bewussteren Umgang mit Konsum entwickeln und uns auf die Kultivierung innerer Qualitäten konzentrieren, können wir eine tiefere, dauerhaftere Form der Freude finden und ein erfüllteres Leben führen, das nicht von äußeren Umständen abhängig ist.
Es ist ein Pfad, der uns dazu ermutigt, über die Grenzen des Konsumismus hinauszuschauen und die wahre Natur der Realität zu erkennen, so wie Nagarjuna es uns lehrt. Der uns dazu auffordert, kritisch zu denken und die manipulative Kraft der Sprache zu durchschauen, so wie Derrida es uns nahelegt, der uns außerdem nicht nur individuell, sondern auch als Gesellschaft zu einem bewussteren und nachhaltigeren Umgang mit unseren Ressourcen und Bedürfnissen führen kann.
Und es ist ein Pfad, der uns dazu anhält, unsere Bedürfnisse auf einer tieferen Ebene zu verstehen und zu erfüllen, anstatt uns in der Illusion einer dauerhaften Befriedigung durch Konsum zu verlieren.
Es ist jedoch wichtig anzuerkennen, dass die Umsetzung der genannten Vorschläge eine Herausforderung darstellt. Wir sind ständig Versuchungen ausgesetzt und werden von Marketingstrategien bombardiert, die uns dazu verleiten wollen, noch mehr noch schneller schneller zu kaufen. Es erfordert Achtsamkeit, Selbstdisziplin und ein tiefes Verständnis unserer eigenen Bedürfnisse und Werte, um diesem Druck widerstehen zu können.
Meditation und Achtsamkeit können uns helfen, unsere Gedanken und Gefühle besser zu verstehen und uns von impulsiven Kaufentscheidungen zu lösen.
Die Kultivierung von Mitgefühl und Großzügigkeit kann uns dazu ermutigen, unsere Ressourcen mit anderen zu teilen und uns auf sinnvolle Beziehungen und Erfahrungen zu konzentrieren, anstatt uns in der Anhäufung von Besitztümern zu verlieren – nur um dann irgendwann mit Entsetzen festzustellen, dass da nichts ist, was man besitzen könnte.

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