Zum Inhalt springen →

Das Glück der anderen

Erschienen in „Tibet und Buddhismus“ (Heft 129) 

Neulich habe ich eine Werbung der Deutschen Bahn gesehen, die mich seitdem immer wieder beschäftigt hat. Eine junge Frau im Business Look sitzt am Fenster in einem Abteil mit Tisch, auf dem Tisch ihr Laptop, auf den sie entspannt und siegesgewiss blickt. “Geschäftlich punkten, persönlich profitieren” lese ich und lerne, dass es seit Anfang Juli den Bahn-Bonus auch mit Pauschalversteuerung gibt.

Das ist erstmal keine Werbung für jedermann. Wenn ich auch vermuten kann, dass der Bahn-Bonus sowas wie Payback etc. ist, etwas, was man heutzutage ja überall in der Hoffnung auf Kundenbindung angeboten bekommt, muss man bei “Pauschalversteuerung” schon ein grundsätzliches Interesse an deutscher Steuergesetzgebung haben, um das gewünschte “Haben-wollen” zu entwickeln.

Aber selbst ohne diese genauen Kenntnisse ist diese Werbung doch den meisten Menschen auch irgendwie vertraut. Es ist nicht das erste Mal, dass man auf diese Weise adressiert wird, nicht das erste Mal, dass wir einer bestimmten Logik folgen sollen, die uns dann alternativlos in den sofortigen Konsum des Angebotenen navigieren soll. 

Das genannte Beispiel gehört dabei zu den subtileren. Für gewöhnlich wird man deutlich direkter angesprochen, es sei nur an das “Ich bin noch nicht blöd” eines bekannten Elektronikgroßhändlers erinnert, dem wir auch das berühmte “Geiz ist geil” verdanken. Wer nicht das Maximum für sich herausholt, ist selber schuld. 

Mehr noch, nicht nur geizig sollen wir sein, sondern auch gierig, so ist es doch bei Fußballern üblich geworden, die fehlende “Gier” anzumahnen, wenn es mal nicht so läuft. Stattdessen könnten die Trainer und Journalisten ja auch von fehlender Spielfreude reden. Man muss kein Buddhist sein, um das befremdlich zu finden.

Aber es hilft nichts, der Großhändler hat Recht und die Deutsche Bahn auch – ich sitze gerade übrigens im ICE von Hamburg nach Mannheim auf der Rückfahrt von meinem Besuch im Tibetischen Zentrum in der Güntherstraße. 

Auch wenn heute fast Courage dazu gehört, das so offen zuzugeben, ich fahre gerne Bahn. Man ist mit vielen anderen zusammen unterwegs und das hat sich immer schon richtiger angefühlt als sich mit dem Auto in einen Stau zu stellen. 

Ich hätte also den eingangs genannten zusätzlichen Anreiz nicht gebraucht und was mich vielleicht tatsächlich ärgert, ist, dass meine eigene Motivation weniger relevant zu sein scheint als die in der Werbung vorgegebene. Wieso kann ich nicht einfach mit der Bahn fahren, weil ich das richtig finde. Ist es nicht viel besser, wenn man etwas Gutes auch aus guten Gründen tut?

Was wie eine Lappalie klingt, weist meines Erachtens in Richtung eines Problems, das größer kaum sein könnte. Denn warum haben Großhändler und Deutsche Bahn Recht? 

Weil beide ihre Kunden nur daran erinnern, dass sie in ökonomischer Hinsicht rational handeln sollen, und das tun sie, wenn sie entweder mit gegeben Mitteln (10 Euro Taschengeld) das Maximum herausholen (“Kopfhörer jetzt nur bei uns für 9,99”) oder eine gegebenes Ziel (neue Waschmaschine) mit minimalem Aufwand (“Die ersten 3 Monate keine Raten zahlen”) erreichen. Nach diesem sogenannten Mini-Max-Prinzip handelt der Homo oeconomicus, eine zwar nicht unumstrittene, aber doch oft hinreichende Beschreibung menschlichen Verhaltens – und in jedem Fall eine der Funktionsweisen, die im Kapitalismus gut funktionieren.

Umstritten ist das Prinzip auch deswegen, weil Menschen nicht immer im beschriebenen Sinne rational handeln. Denn das, was der Mensch für sich als vorteilhaft betrachtet, ist nichts Homogenes, sondern von Mensch zu Mensch sehr verschieden. 

Menschen haben, was den Nutzen betrifft unterschiedliche Präferenzordnungen und die liegen eben insbesondere auch ökonomischen Entscheidungen zu Grunde. Unter den Präferenzen eines Menschen versteht man seine Wünsche und Vorstellung, letztlich das, was er für sich als Nutzen bringend versteht.

Hier sind wir mitten in der Wirtschaftstheorie, Hermann Heinrich Gossen (1810-1858) ist berühmt für seine Schriften über den sogenannten Grenznutzen, über den man vereinfacht gesagt mathematisch bestimmen kann, wieviel Nutzen der Konsum einer weiteren Einheit des gleichen Guts stiften wird. Um ein Beispiel zu nennen, spätestens beim dritten Mal wird mir der Eintritt für den gleichen Film zu hoch erscheinen, selbst wenn sich der Preis an der Kinokasse gar nicht geändert hat. 

Aus ökonomischer Sicht sind wir mit dem Nutzenbegriff nun auch dicht an dem, was man aus eben jener ökonomischen Perspektive als Glück bezeichnen könnte. Glücklich ist, wer mit gegebenen Mitteln seinen persönlichen Nutzen maximiert, was immer das auch für den Einzelnen bedeuten mag, wie schon gesagt, die Geschmäcker sind da verschieden.

Und wenn dies für den Einzelnen und seinen Nutzen gilt, dann gilt das erst recht für Gruppen, die wirtschaftlich gemeinsam handeln, angefangen bei der Familie, über Vereine, Handwerker, Institutionen bis hin zu großen Unternehmen. 

Spätestens bei Unternehmen ist der Nutzen schlicht die Wirtschaftlichkeit und je mehr sich eine Investition rechnet – also Gewinn abwirft – desto besser. 

Und da sind wir uns eigentlich alle einig, so funktioniert eben – mehr oder weniger – ein kapitalistisches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. 

Doch was ist jetzt eigentlich das Problem? Das kapitalistische System hat sich schließlich als recht erfolgreich erwiesen und zweifelsohne bietet ein solches System im Gegensatz zu anderen eine Menge Freiheit, wie zum Beispiel die Freiheit, das eigene Glück selbst verfolgen zu können. 

Das ist natürlich nicht die ganze Geschichte, das System hat auch ein zweites Gesicht, das oft mit Begriffen wie “Gewalt” und “Ausbeutung” charakterisiert wird – gegenüber Menschen, Tieren, der gesamten Natur. 

Und ist das nicht die eigentliche Ursache für die Herausforderungen, die wir heute haben? 

Hier wird zum Beispiel gerne erwidert, dass man dem Kapitalismus das Gute ja nur schmackhaft machen muss: Gibt es einen funktionierenden Business Case für Umweltschutz oder Menschenrechte, also rechnen sich die Investitionen, dann nehmen solche Themen in einem solchen System sogar richtig Fahrt auf. Man denke nur an den Boom von Windrädern und Solarzellen, der schon vor langer Zeit genau das bewiesen hat. Das ist kein schlechtes Argument. 

Die Schwierigkeit dabei ist, dass wir uns bei den anstehen Herausforderungen, die der Mensch auf diesem Planeten zu lösen hat, nicht darauf werden verlassen können, dass wir genau die dem Zweck der Gewinnerzielung dienenden Mittel finden werden, mit denen wir so etwas wie die Globale Erwärmung in den Griff bekommen können. Denn wir dürfen nicht vergessen, in einem rein kapitalistischen System ist der Gewinn immer nur Zweck, nicht das Mittel.  Es wäre maximal ein glücklicher Zufall und das wird vermutlich nicht reichen und zeitlich etwas knapp.

Viel wahrscheinlicher ist, dass bei diesem Thema die Schwierigkeiten, das Leid einfach so groß werden müssen, dass der Grenznutzen eines besseren Klimas auch massiv für diejenigen steigt, die dieses Klima am meisten zerstören – dann würden sie ihr Verhalten ändern. Das wäre eine dramatische Perspektive, die wieder diejenigen bestrafen würde, die sich am wenigsten wehren können.

Ein weiteres viel diskutiertes Argument ist, dass der heutige Kapitalismus nicht richtig angewendet und sogar missbraucht wird, um im Sinne der Reichen die berühmte Schere noch weiter auseinander klaffen zu lassen. Gegen solchen Missbrauch sei dann in erster Linie die Politik in der Pflicht und der heimische Ansatz einer sozialen Marktwirtschaft war sicher auch dazu bestimmt, einen sozial gerechteren Kapitalismus zu etablieren. Wie viel Hoffnung wir auf die Politik setzen wollen, mag jeder selbst beurteilen, da bin ich tagesaktuell eher pessimistisch.

Bleibt noch die fehlerhafte Anwendung der Theorie. Bekannt ist hier die Sicht, dass heute ja nicht mit den vollständigen Kosten kalkuliert werde, also zum Beispiel Umweltschäden oder Einschränkungen für Mensch und Tier nicht berücksichtigt würden. Würde man diese einbeziehen, würden Unternehmen und auch Menschen anders handeln.  Als Beispiel sei hier der Preis für CO2-Verbrauch genannt, der uns alle dazu motivieren soll, sparsamer zu sein. Umweltschutz wird damit Teil meiner persönlichen Nutzenmaximierung und man kann zu dem Thema ansonsten stehen, wie man will. Das ist doch eigentlich eine gute Idee, oder?

Durchaus, das Problem, was ich meine, ist aber genau das, dass man nämlich in einem solchen System das Richtige aus den falschen Gründen tun kann – oder anders gesagt, das Beliebige aus immer denselben Gründen. 

Ich soll Energie sparen, weil es sich für mich rechnet und ich soll Bahnfahren, weil es sich für mich rechnet. Wenn ich zudem auch noch die Umwelt schützen möchte, ist das ganz prima, aber erwarten kann man das ja nicht. Natürlich gibt es diverse Gütesiegel und das ethische Verhalten eines Unternehmens ist den Konsumenten zunehmend wichtig, aber da ist dieselbe Diskussion: Weil es Konsumenten wichtig ist, sich also so Geld verdienen lässt, wird Ethik Teil des Produkts.  

Dabei wäre es vielleicht nur ein anderer Hebel, an dem wir ansetzen müssten – wir könnten sogar den Kapitalismus behalten, falls sich schon jemand Sorgen machen sollte. Nehmen wir ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit. Ich kann eine Atemschutzmaske aus zwei Gründen tragen: Ich möchte mich selbst schützen oder ich möchte alle anderen schützen. Unabhängig davon, wie meine Motivation auch sein mag, das Ergebnis ist dasselbe, ich trage eine Maske. 

Wenn das Ergebnis also dasselbe ist, warum dann die Maske nicht mit der zweiten Motivation tragen? Mit der Motivation, den anderen helfen zu wollen und nicht mir. Und sich vielleicht dann, nach einem ersten Fremdeln, an diese Motivation zu gewöhnen und zu beginnen, andere ähnliche Anwendungsfälle finden; so lange, bis die Motivation womöglich Teil einer neuen Präferenzordnung geworden ist und zu einem Nutzen für mich, auf den ich nicht mehr verzichten möchte. Ein persönlicher Nutzen, der davon getragen ist, das Glück der Anderen in den Vordergrund zu stellen und auf die Welt mit Empathie zu sehen. 

Die Dinge dürfen sich ja trotzdem noch rechnen, aber eben mehr als Mittel denn als Zweck. Und selbstverständlich darf es auch hier einen freien Wettbewerb der besten Ideen geben.

Als ich beim Studium des Buddhismus beim Thema Karma zum ersten Mal davon hörte, dass die Motivation freigebig zu sein viel wichtiger ist als die praktische Freigebigkeit selbst, war ich mindestens verwirrt. Erst ertappte ich mich bei dem spitzbübischen Gedanken, dass das ja auch seine Vorteile hat, um dann nur wenig später festzustellen, dass mein Weg wohl noch sehr weit ist. Denn eine Geisteshaltung zu entwickeln, gleicht einer Transformation, die eben nicht nur auf dem Weg des Verstandes zu erreichen ist.

Ohne die Geisteshaltung aber, wird das Tun in einem System, dessen Entscheidungsrahmen auf individuellen Nutzen basiert, immer dem Verdacht der persönlichen Nutzenoptimierung ausgesetzt sein – wie wir alle wissen, kann man auch Spenden von der Steuer absetzen, um ein Beispiel zu nennen. 

Und es gibt einen noch wichtigeren Grund: Nur mit einer gelebten Haltung kann ich ein Beispiel für andere sein. Damit das alles nicht nur furchtbar naiv klingt, müssen Menschen vorangehen und als Vorbilder fungieren, eine ebensolche Haltung zeigen. Und es braucht eine viel größere Investition in die Bildung des Einzelnen, damit Dinge wie Empathie als Wert und Nutzen verstanden werden und Vertrauen entstehen kann. 

Denn – warum sollte ich anfangen, meine Motivation zu ändern, wenn es die anderen nicht auch tun. Doch nur dann, wenn ich ernsthaft und voller Vertrauen beginne zu verstehen, dass das Glück der Anderen und mein eigenes identisch sind.

Veröffentlicht in Uncategorized

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert