Erschienen in „Tibet und Buddhismus“ (Heft 132) –
Wie stellt man sich eigentlich am besten auf den Untergang ein? Das sollten wir ja recht genau wissen, schaut man sich die schiere Menge an Dystopien an, die insbesondere die westliche Medienkultur in den letzten Jahrzehnten so produziert hat.

Gab es Weltuntergangsszenarien natürlich auch schon im 20. Jahrhundert und vorher, so haben doch Gamingindustrie, Onlinefernsehen und Social Media mit ganz neuen Budgetrahmen und Reichweiten auch ganz neue inhaltliche Dimensionen geschaffen, die dadurch heute nahezu jedem Heranwachsenden bekannt sind.
Eine frühe Blaupause für das inhaltliche Zentrum dieser intensiven neuen Welle, die auch einher ging und immer noch geht mit dem, was seit wann technisch möglich war, ist hier vielleicht der Roman „The Road“ von Cormac McCarthy aus dem Jahr 2006, da ging es um einen Vater und seinen Sohn, die zusammen durch ein zerstörtes Amerika laufen, die Welt ist kalt, brutal, menschenleer und alle Ursachen sind lange vergessen. Eine Geschichte ohne Happy End oder wenigstens eine Perspektive, weiterentwickelt dann zum Beispiel im Spieleklassiker „The Last of us“, auf allen Platformen veröffentlicht und mittlerweile ist sogar der zweite Teil schon verfilmt, diesmal mit Vaterfigur und Tochterersatz. Und eigentlich ist es auch eher Nostalgie, die mich hier ein Buch als Auslöser vermuten lässt, denn das neue (alte) Narrativ gehört im 21. Jahrhundert vollständig den neuen Medien.
Allen Geschichten gemeinsam ist immer ein zentrales Ereignis, eine singuläre Katastrophe, die die Welt vollständig verändert. Alte Werte gelten nicht mehr, das, was man mal geglaubt hat, war falsch, ein Missverständnis und auf Sand gebaut. Und dann besinnt man sich auf das Wesentlichste, was allen die atmen, gemeinsam ist, den Kampf ums nackte Überleben. Die Ursachen sind in der Regel von Menschen gemacht, vielleicht ist das in der Häufigkeit neu, hatten doch Weltuntergänge im 20. Jahrhundert gerne mit Außerirdischen zu tun, vielleicht ist „Krieg der Welten“ von H.G.Wells hier ein schaurig schönes Beispiel.
Allen gemeinsam ist allerdings auch ein selbstverständlicher Level an Gewaltätigkeit, der mit einer massiven Entmenschlichung beteiligter Akteure einhergeht, der bösen, dunklen Seite, die zu töten dann moralisch nicht zu verurteilen, sondern zu begrüßen ist. Die in der 70gern noch dem einem speziellen Horrorgenre vorbehaltene Lebensform „Zombie“ ist dafür die perfekte Reflexionsfläche, sie hat es in den Mainstream, ja in die Kinderzimmer geschafft, der gigantische Erfolg der Serie „The Walking Dead“ kann dafür als sicherer Beleg dienen. Kein Kinderfilm, aber die spielen dann eben „Plants against Zombies“, ein niedliches Spiel, wieder für alle Platformen.
Hier wie dort werden Horden von Lebewesen abgeschlachet, die es nicht besser verdient haben, gehören sie doch in das Reich der Untoten. Die filmische Ästhetik erinnert dabei an die dunkelsten Kapitel menschlichen Handelns, wer nicht weiß, was ich meine, schaue sich „Worldwar Z“ mit Brad Pitt in der Hauptrolle an, auch so was, das Genre wurde auch etwas für die Prämiumgarde der Darsteller, das war mal anders.
Ich selber spiele übrigens seit über 45 Jahren Computerspiele, meine persönliche Lieblingsdystopie war immer die „Fallout“-Reihe. Es geht um eine Welt nach dem nuklearen Supergau, man kämft in einer zerstörten und mutierten Welt ums alltägliche Überleben, das Übliche also. Die Reihe ist in meiner Altersklasse recht beliebt und die Prägung „Kalter Krieg“ spielt sicher eine Rolle. Ich habe auch die anfängliche und mittlerweile ja wieder aus der Mode gekommene Hysterie beim Thema Egoshooter nie verstanden, sie ehrlich gesagt für verlogen gehalten, weil es mit ihr so einfach war, von den meiner Meinung nach eigentlich Problemen abzulenken. Der Meinung bin ich auch immer noch, nur sind die Dinge eben stärker verwoben, es ist eben alles mit allem verbunden, wie wir als Buddhisten wissen – und dies hat natürlich auch meine Haltung gegenüber manchen Spielen über die Zeit geändert.
Man kann eben nicht in einem Spiel töten, ohne auch hierbei eine Signatur in seinem Kopf zu erzeugen, die Töten in einem bestimmten Kontext in Ordnung oder sogar erstrebenswert findet, und sei es in diesem Fall auch nur in Form des Drückens eines Knopfes auf einem Gamepad. Das ist beim Steuern einer Drohne, die eine Handgranate auf Soldaten fallen lässt, übrigens gar nicht so anders.
Natürlich, es gibt einen Unterschied bei der Motivation und einen noch größeren geradezu gigantischen beim Ergebnis: In einem Fall erreiche ich vielleicht den nächsten Level, im anderen Fall sterben Menschen. Das eine ist straf- und menschenrechtlich relevant, das andere kann einen heute sogar berühmt machen und läuft gerne auch unter dem Begriff E-Sport.
Zum Thema strafrechtliche Relevanz fällt mir hier spontan Wolfgang Borcherts Soldat ein, der nicht versteht, warum er, eben aus dem Krieg heimgehkehrt, plötzlich für das Töten ins Gefängnis muss. So wie man verwirrt sein kann, wenn das eine Video auf dem sozialen Medienkanal unserer Wahl zu beschwingter Musik einen neuen Jugendtanz zeigt, das nächste ein sogenanntes „Let‘s Play“ einer Gamer-Ikone (vielleicht die eben angedeutete E-Sport-Berühmtheit), und das dritte einen von Techno begleiteten Handgranatenabwurf über Soldaten in einem Graben, die dann wahlweise für Russland oder die Ukraine sterben.
Und dann merkt man vielleicht, dass die Motivation, die ja bei allem Virtuellen so anders sein soll wie gerade angemerkt, vielleicht gar nicht so trennscharf ist, wie man es beim Ergebnis einer Handlung sagen muss. Denn meine Motivation ist im ständigen Fluss, wie der ungezähmte Gedankenstrom in meinem Kopf und sie wird von Gier, Hass und Unwissenheit konstant vor sich hergetrieben.
Wie können wir sicher sein, ob wir die Unterschiede zwischen virtuell und real nicht längst vergessen haben, oder wie man aus buddhistischer Sicht deutlich exakter sagen müsste, ob wir uns über die erweiterte Ausbaustufe des Samsara, die wir Virtualität nennen, die aber eben nur eine Art Meta-Illusion in einer Illusion ist, nur noch weiter davon entfernt haben, zu erkennen, was Leid eigentlich ist. Denn da ist nur ein Kontinuum, auf das wir als aktuelle Person achtgeben sollten, und das wird durch jedwede Motivation beeinflusst, ob nun rein samsarisch, als das reine Unwissen, oder durch eine menschengemachtes virtuelles Samsara on top, das vielleicht vorgaukelt, virtuelles Tun hätte keine karmische Konsequenz, weil die Tat mangels zugehörigen Ergebnisses nicht vollständig ist. Das ist sie auch nicht, es gibt in diesem Fall nämlich nur ein Wesen, dem Leid zugefügt wird und das sind wir selbst. Das kann dann mittelbar auch Auswirkungen auf unsere Empathie für andere haben – das ist aber auf keinen Fall automatisch so und sicher keine seriöse Unterstellung einer “Gamer-Gemeinde” gegenüber, wenn parallel an allem gespart wird, was Menschen wieder mehr für nicht-virtuelle Welten interessieren könnte.
Dennoch müssen wir uns darüber klar sein, dass wir uns durch unsere Art und Weise in Verhalten und Konsum im Virtuellen, massiv auch für das sogenannte Reale verändern. Wurde früher das „Wegsehen“ kritisiert, kultivieren wir heute ein folgenloses „Hinsehen“- Leid und sogar Tod werden hemmungslos geteilt und bewertet und dabei täuscht auch ein weinendes Emoticon als Reaktion meiner Meinung nach keine wahre Empathie mehr aus, sondern bestenfalls gelerntes Konsumverhalten oft aber einfach nur Schaulust. Wir können uns seit kurzem sogar einreden, dass das Gesehene gar nicht echt, sondern KI-generiert ist, was eine Art „Wegsehen 2.0“ wäre.
Das alles klingt sehr hart und ist vielleicht auch ein wenig ungerecht oder einseitig, wir dürfen uns nur nichts vormachen. Alles im Samsara ist menschengemacht, da ist nichts anderes als das, was aus unseren Köpfen und aus unserem Geist heraus konstruiert und spricht. Wenn wir Veränderung wollen müssen wir sehr grundsätzlich an vielleicht ganz anderen Stellschrauben drehen, denn die Welt ändert sich nur durch veränderte Menschen. Und wir sehen, wo wir heute sind – absurde Eitelkeit und Selbstsucht, einfache Antworten auf alles, Massenbeeinflussung für jeden, der Quasi-Zusammenbruch ethischer Systeme, in denen Altruismus nicht nur eine gute Werbung für irgendeine Zweck ist. Dies alles nützt nur – wie immer schon – den größten Egos mit dem meisten Geld. Ich wäre übrigens froh, wenn mich irgendjemand klassenkämpferischer Naivität überführen könnte.
Dabei lässt man wie mittlerweile trotz 100 Milliarden neuer Klimaschulden üblich, das eigentlich Problem außen vor, das global längst begonnen hat, kritische Grenzwerte zu reißen. Ich hatte letztes Jahr das Privileg, mit meiner Familie in den Schweizer Alpen zu wandern zu gehen, der Blick auf die Gletscher ist deprimierend. Auch wenn das irgendwie eine Luxusproblematik zu sein scheint (fragen Sie mal die Schweizer) ist auch hierzulande spätestens seit der Katastrophe im Ahrtal niemand mehr ernsthaft der Meinung, dass das Herunterladen von CO2-Apps ausreichen wird, um daran etwas zu ändern. Auch in dieser Frage würde nur Radikalität helfen, aber die mögen wir nicht, Schüler sollen bitte am Wochenende streiken und Demonstranten, die durch ihre Aktionen den Flug in den wohlverdienten Urlaub verzögern sind grundsätzlich eine Zumutung, egal für was sie auch stehen mögen. Stattdessen muss, wie wir gerade lernen, wieder in Waffen investiert werden, Panzer und Artillerie können wir immer noch und wir sollen ernsthaft wieder kriegstüchtig werden, in aller Bereichen der Gesellschaft. Ich zitiere, wie Sie wissen, den beliebtesten Politiker Deutschlands, wohlwollend begleitet von selbst unseren liberalsten Medien, die sich in nur drei Jahren sprachlich so aufgerüstet haben, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt.
Zurück zum Anfang, was machen wir jetzt damit, wie geht man damit um, dass wir scheinbar auf dem Weg „Into Darkness“ sind, um den Titel eines ebenfalls recht pessimistischen Star Trek Films zu zitieren. Als Buddhisten ist die Antwort eigentlich recht einfach, oder? Sie ist nicht besonders en vogue und wird leicht als fatalistisch missverstanden, denn sie wird den Leser eben nicht mit der berühmten Hoffnung und dem Licht am Ende des Tunnels, der Sonne, die jeden Morgen wieder aufgeht, entlassen können. Sie wird ihn vielmehr auf die Leidhaftigkeit allen Daseins verweisen, bei der dann vielleicht wirklich ein wenig mitklingen mag, dass man eh nichts machen könne. Damit ist man ja dann auch bestens auf den Untergang vorbereitet.
Aber das stimmt natürlich so nicht, man kann eine Menge machen, es ist nur nicht leicht und wird nicht von heute auf morgen geschehen. Die Leidhaftigkeit des Diesseits, des Samsara ist die Grunderkenntnis aller Buddhisten und wer Jesus am Kreuz betrachtet oder vielleicht über die Osterfeiertage eine Karfreitagsmesse besucht hat, weiß auch, dass wir mit der Erkenntnis nicht allein sind.
Aber wie ernst nehmen wir das eigentlich wirklich, insbesondere in den Regionen der Welt, in denen es uns unabhängig von allen Herausforderungen des „Jetzt“ immer noch blendend geht? So blendend, dass wir uns schaurig schön zu schierer Unterhaltung den eigenen Untergang ausmalen und ein Vermögen für virtuellen Tod in allen Formen und Farben ausgeben und dabei ganz nebenbei fast unbemerkt die Art von Karma anhäufen, die, wie wir wissen, nur mit echter Umkehr zu reinigen sein wird. Doch woher soll die kommen, wie kommen wir an die Motivation noch heran, wenn uns die Welt von Werbung und Medien mit allen nur erdenklichen Tricks vorgaukelt, dass wir in Wahrheit gute Menschen sind, die alles richtig machen wenn sie konsumieren, wie enttarnen wir unseren tief vergrabenen Egoismus als die Teufelsfratze, die er ist?
Wir müssen denke ich wieder ganz von vorne beginnen und lernen, die Wahrheit vom Leid wirklich zu verstehen und insbesondere bei uns selbst zu verorten. Wir müssen akzeptieren, dass wir vielleicht gar keine so guten Menschen sind, die eventuell sogar relativ viel falsch machen und denen es deswegen nicht gut geht.
Wer sich in jedem Moment des Zweifels mit einem Video auf TicToc oder einem Bestellklick bei Booking oder Amazon ablenkt und glaubt, alles werde schon gut, dem sei gesagt, nein, wird es nicht.
Folge lieber dem Zweifel und höre ihm zu, achte genau darauf, wann er kommt und nimm ihn in Dein Leben auf. Nur dann wirst Du etwas ändern und nur dann können wir alle zusammen etwas ändern. Denn wir müssen das Leid nicht nur neu erkennen lernen, sondern es dann auch verinnerlichen.
Das ist die entscheidende Erkenntnis, sie war es auch bei Buddha, als er von der Wahrheit von Krankheit, Alter und Tod erfuhr, denn nur dann will man auch die Ursachen verstehen und sie schließlich auch beseitigen. Dabei können wir uns voll auf das Dharma verlassen, dazu braucht es dann nur noch Vertrauen, Fleiß und Geduld.
Aber diesen ersten Schritt, das Erkennen der ersten Wahrheit, muss jeder selbst machen, dabei kann einem auch Buddha nicht helfen. Das ist unbequem, insbesondere dann, wenn man es gerade besonders bequem hat. Und es ist auch tatsächlich schwieriger, soviel Empathie muss sein. Aber wenn wir, denen es so viel besser als vielen anderen Menschen geht, nicht anfangen, uns anders zu verhalten, anders und anderes zu konsumieren, insgesamt andere Prioritäten zu setzen, wird es schwer an ein Licht am Ende des Tunnels zu glauben. Und, ganz wichtig, wir müssen beim Menschen bleiben und aufhören, unseren Geist immer weiter zu virtualisieren und ein Erkennen und Erwachen damit irgendwann unmöglich zu machen.

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